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Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft
zusammengestellt von Dr. Uwe Meya

19. März 2024
Chinesische Hacker-Gruppe attackiert tibetische Organisationen
Betroffen sind Tibeterinnen und Tibeter in mehreren Ländern, so auch in Taiwan, Australien und den USA. Im September 2023 kompromittierte Evasive Panda die Internetseite des in Indien beheimateten Kagyu International Monlam Trust, der das Mönlam-Fest in Bodhgaya organisiert und daher das Interesse zahlreicher Individuen und Organisationen anzieht.  Die Internetseite wurde mit einem Schadencode versehen, der die Computer aller infiziert, die diese Seite besuchen. Die Schadsoftware konnte danach sensible Daten auslesen, einschliesslich Computer-Name, Nutzername, MAC- und IP-Adressen.

Weiterhin infizierte die Gruppe die Internetseite eines indischen Software-Entwicklers, der Übersetzungsprogramme für die tibetische Sprache produziert. Wer diese Übersetzungs-Software herunterlud, übertrug Schadprogramme auf die eigenen Rechner, die diese für weitere Angriffe öffneten.

Laut der Cybersecurity-Firme ESET hat Evasive Panda eindeutige Wurzeln in China und ist seit 2012 im Bereich der Computerspionage aktiv. Sie zielte bisher auf Individuen auf dem chinesischen Festland, Hongkong, Macao und Nigeria, sowie auf staatliche Einrichtungen und Organisationen in Taiwan, Vietnam und den Philippinen. Zu den Opfern gehört auch das Georgia Institute of Technology. Ein Forscher wurde beispielsweise in China inhaftiert, um die Herausgabe seiner Forschungsergebnisse zu erzwingen

Freilassungen, neue Verhaftungen und Überwachung nach Protesten gegen Staudamm-Projekt
Nach den Protesten gegen das geplante Staudamm-Projekt im Bezirk Dege und zahlreichen Festnahmen [vergl. Tibet-Information vom 27. Februar 2024; UM] wurde eine erste Gruppe von 40 Personen wieder aus der Haft entlassen, aber verbunden mit strikten Auflagen. Sie dürfen keinen Kontakt mit Personen ausserhalb des Bezirks aufnehmen und sich auch nicht zwischen den vom Dammbau betroffenen Dörfern und Klöstern frei bewegen. Es wurden hingegen der Administrator des von Überflutung bedrohten Klosters Wonto, Tenzin, und ein Dorfvorsteher mit Namen Tamdrin festgenommen. Beide seien laut Informanten von Radio Free Asia in einem Gefängnis in der Provinz Sichuan interniert und schwer misshandelt worden.

Die Polizei führt laut Informanten ihre Festnahmen laufend fort. Das Internet in der Region ist abgeschaltet, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Intensiv würden von allen Bewohnern ihre Konten bei den sozialen Medien wie WeChat und TikTok kontrolliert, ob von dort Nachrichten über die Proteste verschickt wurden. Besonderes Augenmerk gelte der Suche nach denjenigen, die mutmasslich das Video über die Polizeiaktion anlässlich der ersten Protestaktion aufgenommen hätten.

Wörtlich sagte ein Informant von Radio Free Asia, die ganze Region sei wie ein «offenes Gefängnis».

Radio Free Asia, 7. März 2024
Video: https://youtu.be/47m5sQ1GS5k

 

27. Februar 2024
Über 1000 Verhaftete nach Protest gegen Staudamm-Projekt
Die Proteste richteten sich gegen den geplanten Bau des Gangtuo-Damms am Drichu, der einer der Zuflüsse des Yangtze-Flusses ist. Der Damm ist Teil eines grossen Projekts, das mit 13 Staustufen insgesamt 13'920 Megawatt an Energie produzieren soll. Dafür würden die Bewohner von zwei Dörfern zum Umzug gezwungen und 6 Klöster überflutet. Darunter befindet sich das Wonto-Kloster mit alten Wandmalereien aus dem 13. Jahrhundert. Das Kloster hält traditionell jedes Jahr kurz nach dem tibetischen Neujahr die Chotrul Duchen Zeremonie («Zeremonie der Wunder») ab, die nach den Verhaftungen ausfiel.

Die Proteste begannen, soweit bekannt, am 14. Februar, als sich 300 Tibeter vor dem Gebäude der Bezirksverwaltung von Dege versammelten und in Sprechchören den Ausstieg aus dem Projekt forderten. Regierungskader forderten die Protestierenden auf, ruhig zu sein, da sie in der Angelegenheit des Dammbaus nichts zu sagen hätten. Ein in das Ausland geschmuggeltes Video zeigt, wie die Polizei die Protestierenden, die teils auf Knien um den Ausstieg bitten, bedrängt und misshandelt.

Speziell trainierte Polizeieinheiten wurden am 22. Februar in die Region entsandt, wo sie die Verhaftungen durchführten. Dabei wurden mehrere Gefangene so schwer misshandelt, dass sie in Spitalpflege gebracht werden mussten. Als sich Angehörige vor den Haftzentren versammelten und die Freilassung forderten, wurden sie auch verhaftet. Andere Quellen berichten, den Verhafteten seien zusätzliche Nahrung und Wasser verweigert worden, worauf es bereits einzelne Todesfälle gäbe.

Radio Free Asia, 22., 23. und 24. Februar 2024
Video: https://youtu.be/47m5sQ1GS5k

Chinesisches Militär vertreibt Hirten von ihrem Weideland
Ein von einem Nomaden heimlich aufgenommenes Video zeigt, wie chinesisches Militär Hirten mitsamt ihren Herden von ihren traditionellen Weiden vertreibt. Der Vorfall ereignete sich am 2. Januar im Hochland nahe der indischen Grenze nach Ladakh.

Während im Hintergrund die Sirenen der Militärfahrzeuge zu hören sind, rufen Nomaden den Soldaten zu, dieses sei ihr traditionelles Weideland. Ein Nomade nimmt eine Schleuder, um einen Stein Richtung Militärfahrzeuge zu schiessen, ansonsten sind keine gewaltsamen Akte bekannt. Die Region ist Teil der «Pufferzone» zwischen Indien und dem von China kontrollierten Tibet. Die Situation ist wegen früherer Zusammenstösse zwischen chinesischem und indischem Militär angespannt.

Nach Angaben des Nomaden, der den Vorfall auf Video festhielt, hat das chinesische Militär bereits früher eine von drei Weideregionen für Hirten gesperrt, und nun würden offenbar auch die beiden verbliebenen Regionen geschlossen. Ein Mitglied der indischen Lokalbehörden nahe der Grenze sagt, die von der Regierung vorgenommene Parzellierung des tibetischen Weidelandes und auch die zunehmenden Aktivitäten des Militärs nahe der indischen Grenze hätten inzwischen zu einer ernsten Verknappung der Weideflächen geführt.

Radio Free Asia, 4. Februar 2024
Video: https://www.rfa.org/english/news/tibet/herders-and-soldiers-02022024155051.html

 

9. Februar 2024
«Anti-Betrugs-App» und Daten-Integration: China verstärkt elektronische Überwachung in Tibet
Ein gerade publizierter Bericht von Turqouise Roof, einer investigativen Gruppe über Tibet, und der SecDev Group, einer Spezialistin für Cyber-Sicherheit, dokumentiert eine neue Phase der elektronischen Überwachung in Tibet. Der Bericht stützt sich auf eine IT-Analyse der neuen «Anti-Betrugs-App», die alle Nutzer in Tibet obligatorisch installieren müssen, sowie öffentlich zugängliche Dokumente über Aufträge an Anbieter von Plattformen zur Integration und Analyse von «Big Data».

Erstmals im September 2023 wurden Berichte von Tibetern publik, die bei Polizeikontrollen auf Strassen an Ort und Stelle zwingend eine «Anti-Betrugs-App» auf ihren Telefonen installieren mussten. Vorgeblich soll diese App vor betrügerischen Aktivitäten im Cyberspace schützen. Die Analyse durch SecDev zeigte aber, dass die Software Zugriff auf sensitive persönliche Daten und Kontrolle über bestimmte Funktionen erhalten kann. Damit wären z.B. der Zugang zu Fotos oder die Aufzeichnung von Gesprächen möglich. Beim ersten Gebrauch müssen sich die Benutzer durch ein Foto ihrer Identitätskarte auf dem Telefon identifizieren und der App die Suche nach anderen installierten Programmen gestatten. Speziell sucht die App das Telefon ab, ob Nutzer auf ausländische Finanzportale wie Bloomberg zugreifen. Neben der sofortigen Installation während der häufigen Polizeikontrollen auf Überlandstrassen werden auch jedwede Versammlungen zum Anlass genommen, dass die Anwesenden die App installieren müssen.

Dazu baut das Büro für Öffentliche Sicherheit für seinen exklusiven Zugriff eine Datenplattform mit dem komplizierten Namen «Tibet Underworld Criminal Integrated Intelligence Application Platform» auf. Diese Plattform integriert mehrere einzelne Datenbanken in Tibet. Sie basiert auf Programmen des amerikanischen Software-Konzerns Oracle. Die Datenbank kann anhand gespeicherter Personendaten verwandtschaftliche Beziehungen einzelner Personen oder deren soziales Netzwerk ermitteln, um mittels Künstlicher Intelligenz Muster für «kriminelle Aktivitäten» zu erkennen. Bereits seit 2018 wird von den Behörden häufig der Begriff «Kräfte der Unterwelt» benutzt, um auf politisch missliebige Aktivitäten hinzuweisen, und es sind Belohnungen zur Denunziation solcher «Kräfte» ausgesetzt [vergl. Tibet-Information vom 29. September 2018; UM].

Oracle antwortete nicht auf eine Bitte der Autoren um Stellungnahme, und die chinesische Botschaft in Washington sprach von «grundlosen Anschuldigungen».

Voice of America, 7. Februar 2024
Kompletter Bericht: https://turquoiseroof.org/weaponising-big-data-decoding-chinas-digital-surveillance-in-tibet/

«Wiederbelebung ländlicher Regionen»: Tibet soll Fleischproduktion intensivieren
Im April 2021 publizierte das Ministerium für Landwirtschaft einen «Fünfjahres-Aktionsplan zur Förderung der Entwicklung der Rind- und Schaffleischerzeugung». Dieser Plan bezieht sich nicht nur auf Tibet, sondern auch auf andere Regionen Chinas. Ein Bericht der International Campaign for Tibet zeigt Details dieses Plans und weist auf soziale und ökologische Folgen hin.

Die Initiative zur Steigerung der Fleischproduktion könnte eine Antwort auf den Zusammenbruch der Schweinefleisch-Industrie in China sein. Etwa die Hälfte der Mastschweine musste 2018 wegen einer grassierenden Virusinfektion getötet werden oder verendete am Virus. Ein weiterer Faktor kam seit 2023 dazu: die fehlenden Importe von Rindfleisch aus Brasilien nach einem Ausbruch von Rinderwahnsinn.

Zur Steigerung der Fleischproduktion in Tibet insbesondere von Yaks und Schafen nennt der Plan eine Reihe von Massnahmen, um die Ziele zu erreichen. Anstatt lebenslang auf Weideland frei zu grasen, werden Tiere nach ihrer ersten Lebensphase in Lastwagen in Mastzentren gefahren. Dort erhalten sie in Boxen entsprechende Ernährung, um möglichst rasch maximale Gewichtszunahme vor dem Schlachten zu erhalten. Laut Plan sollen Schafe nicht länger als 12 Monate, und Yaks nicht länger als 24 Monate leben.

Traditionell schlachteten Nomaden nur so viele Tiere, wie sie für ihr eigenes Leben benötigten. Vom Tier wurde alles verwertet, während in der industriellen Produktion nur das Muskelfleisch verarbeitet wird; der Rest des getöteten Tieres wird überwiegend fortgeworfen. Neben grossen Schlachthöfen sieht der Plan auch die Entwicklung von Verpackungsanlagen und Kühlketten zum Abtransport vor.

Neben den ökologischen Folgen wie CO2-Emissionen durch den Lastwagentransport, den nötigen Import von Sojabohnen als Futtermittel aus den USA und Brasilien und den Methanausstoss durch Gülle macht der Bericht auch auf soziale Folgen aufmerksam.

In der Kette zwischen der Zucht und dem Mästen bis zur Fleischverarbeitung und Transportlogistik haben Tibeter nur eine kleine Nische für sich: die Zeit, während die Tiere nach Geburt bis zum Abtransport frei auf Weideland grasen können. Alle anderen Produktionszweige sind in chinesischer Hand. Die tibetische Bevölkerung wird damit weiter degradiert, weg von der nomadischen Lebensweise zu Lohnempfängern in einer Produktionskette für Fleischwaren.

International Campaign for Tibet, https://savetibet.org/national-parks-rural-revitalization/

 

2. Februar 2024
Neues Gesetz für «Patriotische Erziehung»
Unter dem Eindruck des Aufstandes auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 hatte die Volksrepublik China eine Kampagne zur «Patriotischen Erziehung» lanciert. Das am 1. Januar 2024 in Kraft getretene neue Gesetz institutionalisiert eine bereits seit Langem gehandhabte Praxis und schafft dafür einen legalen Rahmen.

Ziel des Gesetzes sind die «Führung der Kommunistischen Partei hochzuhalten", ihren Ideologien zu folgen und die «Liebe zur Nation, zur Partei und zum Sozialismus» zu pflegen. Die wichtigsten Inhalte der «Patriotischen Erziehung» sind:

  1. Die Geschichte der Kommunistischen Partei, die Entwicklung Chinas und die sozialistische Entwicklung.
  2. Ideologien vom Marxismus-Leninismus bis zum «Xi Jinping-Gedanken».
  3. Die Merkmale und Errungenschaften des «Sozialismus mit chinesischen Merkmalen».
  4. «Traditionelle, revolutionäre und sozialistische Kulturen».
  5. Nationale Symbole, wie die Flagge und die Hymne.
  6. Landschaften und kulturelles Erbe.
  7. Die Verfassung und die Gesetze.
  8. Die Taten von «Helden und Märtyrern».

Abgesehen von Institutionen der Regierung sind Gewerkschaften, Frauenvereinigungen, Schulen, und Eltern zu solcher Erziehung aufgerufen. Das Gesetz nimmt auch religiöse Vereinigungen, Auslandschinesen und Einwohner Hongkongs, Macaus und Taiwans in die Pflicht. Zur Vermittlung der Inhalte sollen Museen, nationale Feiertage, Gedenkveranstaltungen und Medienplattformen beitragen; unter Letzteren sind explizit Internet-Anbieter aufgerufen.

China Neican Newsletter, 17. Januar 2024

“Archäologie der Grenzregionen”: China bemüht neue Argumente für Herrschaftsansprüche
Um seinen Herrschaftsanspruch nicht nur über Tibet, sondern auch über Ost-Turkestan (chin. Xinjiang) und die Südmongolei - also Regionen, die «schon immer zu China gehörten - zu rechtfertigen, hat die Volkrepublik China schon seit Langem historische Argumente vorgebracht. Neu ist nun, dass sogar die Archäologie herangezogen wird.

Im Januar publizierte die Global Times, Sprachrohr der Kommunistischen Partei, einen Artikel mit dem Titel «Ein halbes Jahrzehnt Grenzarchäologie bringt bedeutende Entdeckungen hervor und offenbart eine vielfältige und doch geeinte chinesische Zivilisation».

Der Artikel beschreibt zwei archäologische Fundstätten in Tibet. Die eine liegt in der Präfektur Nagchu im Norden Tibets, die andere nahe Lhasa. Die gefundenen Artefakte sollen Beleg sein für eine menschliche Besiedlung bereits vor 30'000 bis 40'000 Jahren und auf eine frühe «Migration und Adaptation an die Höhenlage» sein. Offengelassen wird, von wo diese «Migration» erfolgte, aber der Kontext im Artikel suggeriert, dass es von China aus geschah.

Ähnliche Funde aus Ost-Turkestan (Xinjiang) und der Südmongolei, also weit ausserhalb der historischen Grenzen von China, sollen laut einem führenden Archäologen «lebendige Belege für Chinas Austausch mit anderen Kulturen» sein und die im chinesischen Kernland erhobenen Befunde ergänzen.

Der Bericht der Global Times rief indische Sorgen hervor, damit könne die Volksrepublik China auch territoriale Ansprüche auf die tibetisch geprägten Regionen im Norden von Indien anmelden. Die Times of India zitiert eine Studie aus Ladakh, die zeigt, dass die dortige Bevölkerung eine starke genetische Verwandtschaft mit der tibetischen und indischen Ethnie aufweist, aber keine mit China. Weiter werden archäologische Studien aus Ladakh und Zanskar angeführt. Die noch wenig erforschten Fundstätten aus der Bronzezeit sollen auf einen intensiven Austausch mit Indien hinweisen, während derjenige mit China minimal sei.

Firstpost, 27. Januar 2024

Dorfkader müssen chinesischen Sprachunterricht nehmen
Der westlich von Lhasa gelegene Bezirk Nyemo wurde als «Modellregion» für die Förderung der chinesischen Sprache und «ethnische Einheit» ausgezeichnet. Bereits seit 2 Jahren hatte das dortige lokale Parteikomitee Dorfkader in mehreren Gruppen zum Sprachunterricht in chinesische Regionen entsandt. Sie erhielten nach Abschluss der Schulung jeweils offizielle Zertifikate. Weiter wurden auch Betriebe und Regierungsstellen aufgefordert, Parteimitglieder, Lehrpersonal und sogar Schulkinder auf Studienreisen nach Beijing, in die Provinz Hebei und andere Regionen zu senden, um das Lernen der «gemeinsamen Nationalsprache» zu fördern.

Umgekehrt wurden in abgelegenen Regionen mobile Parteischulen errichtet, die angeblich 15'000 Kader und die übrige Bevölkerung erreichten. Auch «mehrere hundert» Hirten und Bauern wurden mittels «täglichem Lernen mit Partnern, wöchentlichem Selbststudium und monatlichem intensiven Training» unterrichtet.

Parteimitglieder und Kader müssen verpflichtend eine chinesisch-tibetische Übersetzungs-Software installieren, um «Kommunikationsbarrieren» zu überwinden und «ein Gespür für die Einheit der chinesischen Nation» zu entwickeln.

International Campaign for Tibet, News Roundup 1/2024
United Front, 27. Dezember 2023

 

11. Januar 2024
Thermo Fisher stellt Verkauf von DNA-Testmaterial nach Tibet ein
In einer Mitteilung an die Aktionäre teilt die US-Firma Thermo Fisher mit, dass alle Verkäufe von Material für das DNA-Testen in Tibet per 31. Dezember 2023 eingestellt werden. Im September 2022 hatten die Organisationen Human Rights Watch und Citizen Lab berichtet, dass die Behörden systematisch DNA-Proben in allen Regionen Tibets sammeln. Dieses betrifft offenbar alle Altersklassen, beginnend im Kindergartenalter ab 5 Jahren. Es gibt keine Hinweise, dass die Betroffenen über die Verwendung aufgeklärt werden oder eine reale Möglichkeit hätten, die Probenentnahme abzulehnen. Offiziell wird die Sammlung damit erklärt, dass Verbrechen aufgeklärt, vermisste Personen gefunden werden und die «soziale Stabilität» gestärkt wird. Basierend auf einer systematischen Auswertung von 100 öffentlich zugänglichen Quellen fand Citizen Lab, dass bis 2022 insgesamt zwischen 900'000 und 1.2 Millionen Proben entnommen wurden, was etwa einem Viertel bis einem Drittel der gesamten Bevölkerung Tibets entspricht [vergl. Tibet-Information vom 22. September 2022; UM].

Die Ankündigung der Einstellung der Verkäufe folgte auf eine lange Kampagne einer Koalition von Tibet-Gruppen, kritischen Aktionärsgruppen und Mitgliedern des US-Kongresses. Der CEO von Thermo Fisher, Marc Casper, hatte seit September 2022 die Verkäufe beharrlich damit verteidigt, dass ihre Zahl der «in dieser Region zu erwartenden Verbrechensrate» entspräche. Er ging nicht darauf ein, dass schon allein der Besitz eines Fotos des Dalai Lama oder kritische Äusserungen in sozialen Medien aus Sicht der Polizei ein «Verbrechen» darstellen. Auch in der jetzigen Mitteilung an Aktionäre hielt Marc Casper an seiner Rechtfertigung fest, begründete die Einstellung aber mit «einer Reihe anderer Gründe», ohne diese im Detail zu schildern.

Citizen Lab, 13. September 2022 – ausführlicher Bericht: https://citizenlab.ca/2022/09/mass-dna-collection-in-the-tibet-autonomous-region
Axios, 3. Januar 2024

Wissenschaftliche Publikationen über DNA-Tests an uighurischer und tibetischer Bevölkerung zurückgezogen
Die Analyse der DNA der uighurischen und tibetischen Bevölkerung war allein schon für den Gebrauch durch die Polizei zur angeblichen «Verbrechensbekämpfung» kritisiert worden, da das massenhafte Speichern von Daten «auf Vorrat» ohne konkreten Fall erfolgte. Werden DNA-Tests für wissenschaftliche Publikationen verwendet, muss nach allgemeinen ethischen Massstäben die «Declaration of Helsinki» beachtet werden. Gemäss diesem weltweit anerkannten ethischen Standard für Forschung an Menschen müssen unter anderem die Freiwilligkeit der Probenabgabe, die umfassende Aufklärung der Betroffenen über den Verwendungszweck der von ihnen erhobenen Daten, das Recht auf Verweigerung der Entnahme, und die Aufklärung über die Datenspeicherung sichergestellt sein. Thermo Fisher beruft sich in ihren eigenen internen ethischen Richtlinien explizit auf die «Declaration of Helsinki».

Bereits 2019 hatten die renommierten Verlage «Nature» und «Wiley» Publikationen über Untersuchungen der DNA in Tibet und Xinjiang (Ost-Turkestan) zurückgezogen, da erhebliche Zweifel bestanden, ob die geltenden ethischen Richtlinien eingehalten wurden. Im Juni 2023 wurden vom Verlagshaus «Elsevier» und vom Journal «Forensic Sciences Research FSR» (das vom chinesischen Justizministerium gesponsert wird) zwei weitere Publikationen zurückgezogen. Auch hier konnte nicht die Einhaltung der Prinzipien der «Declaration of Helsinki» belegt werden. Einer der Co-Autoren in beiden Publikationen hat Verbindungen zur Polizeihochschule von Xinjiang. Thermo Fisher hatte bereits 2019 die Verkäufe von DNA-Testmaterial nach Xinjiang eingestellt.

Die tibetische Bevölkerung zeigt eine genetische Variante, die als Adaptation auf die Höhenlage einen besseren Sauerstoff-Transport im Blut ermöglicht – was auf ein mögliches militärisches Interesse Chinas an DNA-Daten hindeuten könnte.

Nature News, 6. Dezember 2019
The Guardian, 29. Dezember 2023

Kloster darf keine Mönche mehr aufnehmen
Das Kloster Khyungbum Lura im Bezirk Markham im Osten Tibets darf ab sofort keine neuen Mönche mehr aufnehmen. Das Kloster ist mit derzeit 80 Mönchen eines der grössten der Gelug-Tradition, der auch der Dalai Lama angehört. Während der chinesischen Invasion hatte das Kloster während 6 Jahren erbitterten Widerstand geleistet, bis es eingenommen und nahezu komplett zerstört wurde. Die lokale Bevölkerung und die Mönche hatten in den 1980er Jahren, während einer relativ liberalen Ära in Tibet, das Kloster grösstenteils selbst wieder aufgebaut. Bisher durften in Klöster landesweit gemäss den Regeln der Nationalen Kommission für Religiöse Angelegenheiten lediglich keine Mönche eintreten, die jünger als 18 Jahre alt sind.

Radio Free Asia, 3. Januar 2024

Schulkindern wird privater Unterricht in tibetischer Sprache verboten
Das chinesische Erziehungsministerium hat in allen Regionen Tibets an ein seit 2021 geltendes Verbot hingewiesen, dass während der Winterferien Schulkinder keinen privaten Unterricht in tibetischer Sprache oder Kultur nehmen dürfen. Auch sind ihnen religiöse Aktivitäten untersagt. Ausdrücklich werden stichprobenartige Kontrollen in allen Landesteilen angekündigt, ob das Verbot eingehalten wird. Das Ministerium wies lokale Behörden an, dieses Verbot rigoros durchzusetzen und zu jeder Tages- und Nachtzeit Kontrollen durchzuführen. Zwar seien private Unterrichts-Angebote während der Ferien grundsätzlich erlaubt, aber sowohl das Lehrpersonal als auch die teilnehmenden Kinder bedürften einer vorherigen behördlichen Genehmigung.

In Lhasa schilderten die Behörden in einem Dekret detailliert, was Eltern und Lehrkräfte während der Ferien unterrichten dürfen. Gemäss Informanten von Radio Free Asia führen die Behörden im Bezirk Yushu im Norden Tibets nicht nur Kontrollen durch, sondern befragen auch Kinder, was ihnen privat während der Ferien unterrichtet wird.

Traditionell hatten Eltern und Klöster diesen privaten Unterricht während der Ferien angeboten, damit die Kinder nicht völlig der tibetischen Kultur entfremdet werden.

Radio Free Asia, 9. Januar 2024

 

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